InselMagazin: Faszinierende Geschichte & Geschichten

„Die Guanchen sprachen Althochdeutsch – und Atlantis war in Bayern“
Wie Erhard Landmann die Sprachwissenschaft auf links zieht – oder ihr wenigstens kräftig ins Ohr flüstert
Wenn du glaubst, die Linguistik sei ein trockenes Feld voller Grammatikregeln, Lautverschiebungstabellen und Bibliotheken voller Fachliteratur, dann hast du noch nie von Erhard Landmann gehört. Denn Landmann hat die akademische Spielwiese verlassen und spielt jetzt Frisbee mit den Gesetzmäßigkeiten der Sprachgeschichte. Sein 1993 erschienenes Buch „Weltbilderschütterung“ ist keine Studie – es ist ein Manifest. Eine Art Reisebericht aus einem Paralleluniversum, in dem Althochdeutsch die Sprache der Welt war, Pyramiden als Runentexte gelesen werden und die alten Guanchen offenbar Goethe zitieren konnten, lange bevor der geboren wurde.
InselMagazin: Geschichte & Geschichten
Landmanns These: Althochdeutsch als Muttersprache der Götter
Die Hauptidee ist schnell zusammengefasst: Alles, was irgendwo auf der Welt alt und rätselhaft aussieht, ist in Wahrheit althochdeutsch. Ägyptische Hieroglyphen? Kein Problem. Die Inschriften auf den Nazca-Linien? Klar doch. Die Zeichen der Olmeken? Logisch. Sogar die Mayas, die Sumerer, die Babylonier – alle sollen in irgendeiner Form Deutsch gesprochen oder geschrieben haben. Nicht irgendein Deutsch natürlich, sondern das gute alte, mit Runen und „thi“ am Satzanfang.
Und weil das noch nicht genug ist, setzt Landmann gleich noch einen drauf: Auch die Guanchen, die mysteriösen Ureinwohner der Kanarischen Inseln, haben seiner Meinung nach keine Berbersprache gesprochen, sondern – na was wohl? – Althochdeutsch. Natürlich. Denn wenn man schon dabei ist, warum nicht gleich den ganzen Mittelmeerraum germanisieren?
Die Methode: Assoziationsroulette mit Runen
Landmanns „Forschung“ basiert auf einem Prinzip, das sich am besten mit dem alten Kinderlied erklären lässt: „Wenn zwei Dinge sich reimen, dann gehören sie zusammen.“ Wenn also ein altägyptisches Wort vage klingt wie ein deutsches – sagen wir mal „ra“ und „Rad“ – dann muss das dieselbe Wurzel haben. Dass dabei jegliche wissenschaftliche Methodik über Bord geworfen wird, stört ihn nicht. Im Gegenteil: Die klassische Sprachwissenschaft ist für ihn ein Kartenhaus aus Ideologie, Verschwörung und Ignoranz.
Er liest Runen, wo keine sind, deutet Linien auf Steinen als Schriftzeichen und macht sich die Welt, widdewidde wie sie ihm gefällt. Der Kontext? Zweitrangig. Lautgesetze? Ach was. Historische Konsistenz? Unnötig. Stattdessen gibt’s wilde Assoziationen, erstaunlich kreative Herleitungen und ein Vokabular, das oft mehr nach Poetry Slam als nach linguistischer Analyse klingt.
Wissenschaftliche Reaktion: Achselzucken und Fremdscham
Die Reaktion der Fachwelt war – vorsichtig formuliert – zurückhaltend. Die meisten Sprachwissenschaftler haben Landmanns Buch entweder ignoriert oder mit einer Mischung aus Kopfschütteln und Fremdscham zur Kenntnis genommen. Es ist ein bisschen so, als würde jemand mit Inbrunst behaupten, die Titanic sei gar nicht gesunken, sondern habe nur das Reiseziel verfehlt – man weiß gar nicht, wo man mit dem Widerspruch anfangen soll.
Dabei wäre es einfach: Denn so ziemlich jede seiner Schlussfolgerungen scheitert an den Grundlagen historischer Sprachforschung. Althochdeutsch entstand etwa im 6. Jahrhundert n. Chr. – da waren die Pyramiden schon zweitausend Jahre alt. Aber das spielt bei Landmann keine Rolle. Zeit ist für ihn nur ein soziales Konstrukt, und Sprachen sowieso.
Der Reiz des Absurden: Zwischen Kultstatus und Kuriositätenkabinett
Und doch – und das ist das Faszinierende – ist „Weltbilderschütterung“ kein langweiliges Buch. Im Gegenteil. Es ist unterhaltsam, provozierend, stellenweise absurd witzig und genau deswegen Kult geworden. Nicht bei Fachleuten, sondern bei Esoterik-Fans, Hobby-Historikern und Menschen, die gerne glauben, dass die Schulwissenschaft uns etwas verschweigt.
Landmann ist kein Wissenschaftler. Aber er ist ein Erzähler. Ein poetischer Verschwörungstheoretiker mit einem Faible für Runen und alten deutschen Wörtern, der mit fast kindlicher Freude in Sprachlandschaften herumstolpert und dabei erstaunlich kreative Spuren hinterlässt. Man könnte sagen: Er ist der Hermann Hesse der Alternativlinguistik – nur ohne den Nobelpreis.
Ein Märchen für Erwachsene mit Sprachverwirrung
Am Ende bleibt „Weltbilderschütterung“ das, was der Titel verspricht: eine Erschütterung – nicht des Weltbilds, aber des Vertrauens in gesunden Menschenverstand. Es ist ein sprachliches Märchenbuch für alle, die lieber glauben, dass Atlantis bei Passau lag und Jesus althochdeutsch predigte. Wer's glaubt, wird selig. Oder zumindest gut unterhalten.
Landmann zeigt uns unfreiwillig, wie wichtig wissenschaftliche Standards sind – gerade weil er so konsequent gegen sie verstößt. Und vielleicht liegt darin ja seine eigentliche Leistung: Er bringt uns dazu, über Sprache nachzudenken. Und über die Frage, wie weit man gehen darf, bevor eine Theorie zur Parodie wird.
Fußnoten & Quellenverzeichnis
- Erhard Landmann – „Weltbilderschütterung“, 1993, ISBN: 978-3-9803509-0-9.
Das zentrale Werk, in dem Landmann seine Thesen zur „ursprünglichen“ Rolle der althochdeutschen Sprache darlegt. Enthält zahlreiche Deutungen alter Inschriften, Bildsprache und ein stark selektives Verständnis linguistischer Methodik. - Ziegler, Thomas: „Zwischen Spracherfindung und Verschwörungstheorie – Pseudolinguistik im deutschsprachigen Raum“, in: Zeitschrift für Sprachkritik, 2011, S. 89–103.
Ein Aufsatz, der sich u. a. mit der Rezeption alternativer Sprachmodelle in der Esoterik- und Verschwörungsszene auseinandersetzt. Landmann wird hier als besonders illustratives Beispiel genannt. - Günter Drosdowski (Hrsg.): Duden. Herkunftswörterbuch – Etymologie der deutschen Sprache, 5. Aufl., Dudenverlag, Mannheim, 2003.
Eine solide Quelle zur tatsächlichen Entwicklung der deutschen Sprache und ihrer Wurzeln. Bietet hilfreichen Kontrast zu Landmanns Herleitungen. - Winfried Scharloth: Sprachwandel und Sprachverfall? Gunter Narr Verlag, 2002.
Ein Einblick in die reguläre historische Sprachwissenschaft, besonders zur Entwicklung germanischer und indogermanischer Sprachen. Relevant zur zeitlichen Einordnung des Althochdeutschen – das eben erst ab ca. 500–1050 n. Chr. dokumentiert ist. - Jürgen Spanuth: Atlantis – Heimat unserer Vorfahren, 1953.
Auch wenn Landmann Spanuth nicht direkt zitiert, steht er in einer langen Tradition spekulativer Pseudo-Archäologie, in der Atlantis, Germanen und Sprache wild gemischt werden. Spanuth war einer der ersten deutschsprachigen Autoren, die Atlantis in die Nordsee verlegt haben. - Bernd-Christian Otto: Esoterik – Eine Einführung, Reclam Verlag, 2020.
Liefert Hintergrund zur Verbindung zwischen esoterischem Denken und alternativer Wissenschaft. Der Abschnitt über Sprachmystik ist besonders relevant für das „Landmann-Phänomen“. - Heike Owusu: Die Sprache der Runen, Knaur, 1997.
Landmann verwendet Runen auf eine ganz eigene Art – wer verstehen will, wie Runen in der Esoterikszene gedeutet werden, findet hier Einblicke. Auch hier gilt: Viel Interpretation, wenig Historie. - Wikipedia-Eintrag: „Guanchen“ – zuletzt abgerufen am 25.04.2025:
https://de.wikipedia.org/wiki/Guanchen
Solide Übersicht zur Kultur und Sprache der Ureinwohner Teneriffas. Laut linguistischen und genetischen Studien stehen sie klar in der Berber-Tradition Nordafrikas – keinerlei Verbindung zum Althochdeutschen.
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