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Von der Wüste zur Delikatesse: Die faszinierende Reise des Feigenkaktus auf Teneriffa

Von der Wüste zur Delikatesse: Die faszinierende Reise des Feigenkaktus auf Teneriffa

Teneriffa – diese Insel aus Feuer und Nebel, aus Vulkangestein, Passatwolken und endlosen Ebenen. Wer sie kennt, weiß: Ihre Landschaften sind so vielfältig wie ihre Mikroklimata. Und mittendrin, an steinigen Hängen, zwischen alten Trockenmauern, am Rand stiller Barrancos – da wächst ein stacheliger, unscheinbarer Überlebenskünstler: der Feigenkaktus (Opuntia ficus-indica).

Auf den ersten Blick mag er wild wirken, fast wie ein Unkraut der Halbwüsten. Doch je länger man ihn betrachtet, desto deutlicher wird seine Bedeutung: ökologisch, kulturell, wirtschaftlich – und kulinarisch. Der Feigenkaktus hat sich von einer Pflanze der indigenen Völker Mexikos zu einem fester Bestandteil der kanarischen Identität entwickelt.

Herkunft und Geschichte – Von Mexiko über Spanien nach Teneriffa

Die Reise des Feigenkaktus beginnt vor Jahrtausenden auf dem amerikanischen Kontinent. Dort war Opuntia ficus-indica für viele indigene Kulturen – besonders für die Azteken – Lebensmittel, Heilmittel und heiliges Symbol. Seine Früchte, die „Tunas“, galten als Gabe der Götter.

Mit den spanischen Entdeckungsfahrten im 16. Jahrhundert gelangte die Pflanze nach Europa und bald auch auf die Kanarischen Inseln. Besonders auf Teneriffa, mit seinem vulkanischen Boden, mildem Klima und steinigen Hügeln, fand der Kaktus eine neue Heimat. Schnell wurde er in lokale landwirtschaftliche Systeme integriert – nicht nur als Nahrung, sondern auch als Lebensraum, Farbstoffquelle und Schutzhecke.

Heute ist es schwer vorstellbar, dass diese Pflanze nicht immer Teil der kanarischen Landschaft war. Ich erinnere mich an einen Spaziergang oberhalb von Icod, wo der Feigenkaktus in uralten Terrassenfeldern wächst – eingerahmt von Lavasteinen und alten Feigenbäumen. Er wirkt dort so heimisch, als hätte er den Vulkan selbst erlebt.

Morphologie und Anpassung – Der stachelige Überlebenskünstler

Der Feigenkaktus ist ein Paradebeispiel evolutionärer Intelligenz. Seine Paddel – botanisch „Platykladien“ – sind modifizierte Sprossachsen, die Wasser speichern und Photosynthese betreiben. Statt klassischer Blätter nutzt die Pflanze winzige, kaum sichtbare „Glochiden“ – feine, widerhakenartige Härchen, die bei Berührung unangenehm stechen können.

Die Blüten, die in den Sommermonaten erscheinen, leuchten in Gelb, Orange oder Rot und ziehen Bienen, Schmetterlinge und Hummeln an. Daraus entwickeln sich die Tunas, saftige Früchte mit weichem Fruchtfleisch und zahlreichen essbaren Kernen. Ihre Farbe reicht von tiefem Violett über Rosa bis zu leuchtendem Gelb.

Durch diese Anpassungen – Wasserspeicherung, Dornen, CAM-Photosynthese – kann der Kaktus extreme Hitze, Wind und Trockenheit überstehen. Selbst nach Monaten ohne Regen bleibt er grün und fruchtbar.

Ökologische Bedeutung – Lebensraum, Schutz und Stabilisierung

Der Feigenkaktus ist mehr als nur eine Pflanze: Er ist ein Mini-Ökosystem. Seine Paddel bieten Lebensraum für zahlreiche Insektenarten, kleine Reptilien wie die Teneriffa-Eidechse, und Vögel wie den Kanarengirlitz, der zwischen den Dornen nistet.

Seine Früchte sind in den trockenen Sommermonaten eine wertvolle Nahrungsquelle für Vögel, die gleichzeitig durch ihren Kot die Samen verbreiten – ein ausgeklügelter Kreislauf. Auch für Menschen und Nutztiere waren die Früchte lange eine willkommene Ernte in dürregeplagten Sommern.

In landwirtschaftlich sensiblen Regionen spielt der Kaktus außerdem eine wichtige Rolle bei der Bodenstabilisierung: Seine Wurzeln halten Erde fest, verhindern Erosion an Hängen und reichern den Boden mit organischem Material an – besonders durch verrottende Paddelreste.

Kulinarik und Kultur – Eine Frucht mit Geschichte

Der Feigenkaktus ist auf Teneriffa fest in der Volkskultur verankert. Seine Früchte sind nicht nur süß und nahrhaft, sondern auch tief verbunden mit Erinnerungen, Rezepten und Familiengeschichten.

Traditionelle Nutzung
  • Früher wurde der Kaktus auch medizinisch verwendet:
  • Die aufgeschnittenen Paddel als natürliche Wundauflage
  • Getrocknete Früchte zur Linderung von Verdauungsproblemen
  • Der Saft gegen Sonnenbrand und Hautreizungen

In vielen Haushalten war das Schälen der Tunas eine sommerliche Gemeinschaftsarbeit – mit Gummihandschuhen, alten Tüchern und kaltem Wasser.

Moderne Rezepte

Heute erlebt der Feigenkaktus ein Comeback:

  • Frisch in Obstsalaten
  • Zu Marmelade oder Gelee verarbeitet
  • Als Saft oder Likör
  • In vegane Desserts, Sorbets oder Chutneys

Meine persönliche Empfehlung: Tuna-Gelee mit Limette – herrlich frisch auf geröstetem Brot mit Ziegenkäse. Eine einfache, aber überraschend elegante Kombination.

Wirtschaftlicher Wert – Pflanze mit Potenzial

Landwirtschaft auf Teneriffa

Der Feigenkaktus gilt als resilienter Hoffnungsträger in der kanarischen Landwirtschaft. In Zeiten zunehmender Trockenheit und Wasserknappheit ist er eine kostengünstige, pflegeleichte Kulturpflanze, die auch auf kargen Böden wächst.

Viele Kleinbauern nutzen die Pflanze als Zweitfrucht, zur Selbstversorgung oder für den lokalen Markt – besonders während der Reifezeit im Spätsommer.

Globale Nachfrage

Auch international wächst das Interesse an Feigenkaktusprodukten – nicht nur wegen des Geschmacks, sondern auch wegen ihrer gesundheitsfördernden Eigenschaften:

  • Reich an Ballaststoffen, Vitamin C, Kalium, Antioxidantien
  • Blutzuckersenkende und entzündungshemmende Wirkung
  • Verwendung in Kosmetikprodukten, z. B. aus den Samen gewonnenes Kaktusfeigenöl

Dieses „grüne Gold“ wird zunehmend in Bioläden, Reformhäusern und Feinkostgeschäften in Europa gehandelt – oft mit dem Herkunftssiegel „Islas Canarias“.

Die Cochenilleschildlaus – Farbe aus der Pflanze

Eine besondere Beziehung besteht zwischen dem Feigenkaktus und einem winzigen Mitbewohner: der Cochenilleschildlaus (Dactylopius coccus). Dieses kleine Insekt lebt ausschließlich auf Opuntienarten und produziert den leuchtend roten Farbstoff Karmin.

Im 19. Jahrhundert war die Cochenillezucht ein bedeutender Wirtschaftszweig auf den Kanaren. Heute wird sie in kleinen Mengen traditionell weitergeführt, vor allem auf Lanzarote und im Süden Teneriffas – als kulturelles Erbe und für ökologische Kosmetikprodukte.

Die Kombination aus Feigenkaktus und Cochenille ist ein Beispiel dafür, wie Pflanze und Tier in Symbiose mit dem Menschen eine reiche Geschichte geschrieben haben.

Herausforderungen und Zukunft

Klimawandel und Schädlinge

Trotz seiner Widerstandskraft ist der Feigenkaktus nicht unverwundbar. Neue Schädlingsarten – wie die Opuntia-Kaktusmotte (Cactoblastis cactorum) – bedrohen die Bestände. Zudem führen klimatische Extreme zu vermehrtem Stress und Fruchtausfall.

Erhaltungsmaßnahmen
  • Biologische Schädlingsbekämpfung
  • Förderung traditioneller Anbauformen
  • Aufklärungskampagnen in Schulen und im Tourismus
  • Einbindung der Pflanze in neue agrarökologische Konzepte

Forschungsinstitute auf Teneriffa arbeiten mit lokalen Bauern zusammen, um resilientere Sorten zu züchten und das Wissen um den Feigenkaktus zu bewahren.

Symbol für Teneriffa – Zwischen Natur und Kultur

Der Feigenkaktus steht sinnbildlich für die kanarische Seele: widerstandsfähig, genügsam, nahrhaft, unterschätzt und voller innerer Kraft.

Ob in einem stillen Garten oberhalb von Güímar oder als Hauptzutat in einem Dessert in einem Restaurant in La Laguna – er ist immer präsent. Und wer ihn einmal aufgeschält, gerochen, gekostet hat, vergisst ihn nicht.

Mehr als eine Pflanze

Der Feigenkaktus ist ein leises Wunder. Seine Geschichte reicht von den Azteken bis in moderne Labore. Er ist Nahrungsmittel, Heilpflanze, Lebensraum, Wirtschaftsgut und kulturelles Symbol.

Und vielleicht ist es genau diese Vielseitigkeit, die ihn so bedeutend macht – gerade in einer Zeit, in der wir uns wieder nach robusten, ehrlichen Pflanzen mit Geschichte sehnen.

Teneriffa ohne Feigenkaktus? Kaum vorstellbar.

Quellen und Literatur:
  • Gobierno de Canarias: Agrobiología Canaria
  • Instituto Canario de Investigaciones Agrarias (ICIA)
  • Museo Etnográfico Casa del Ganadero, La Laguna
  • FAO: Cactus Pear: A Valuable Crop for Arid and Semi-Arid Lands
  • Interviews mit Landwirten in El Sauzal und Arico (2023)
  • Eigene Feldbeobachtungen und kulinarische Recherchen (2022–2024)
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